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Die rätselhafte Dunkle Materie macht sich nur durch
ihre Gravitation bemerkbar. Doch ausgerechnet dieser Schwerkraftsog soll
einigen Galaxien fehlen. Ein Widerspruch, den erst eine Simulation von
Galaxiencrashs aufzuklären hilft. Sonne, Mond und Sterne! - Wer das
Weltall so beschreibt, hat den ganz überwiegenden Teil vergessen. Geht es
nach der Menge, müsste der Kindervers anfangen mit "Dunkler Materie". Tut
er nicht, denn erstens weiß kein Kind, was "Dunkle Materie" eigentlich
sein soll, und zweitens haben die Wissenschaftler auch keine Ahnung. Man
kann sie nicht sehen, denn sie ist im gesamten Spektralbereich unsichtbar,
interagiert einfach nicht mit elektromagnetischer Strahlung. Dass es sie
gibt, wissen wir nur aufgrund ihrer Gravitation. Denn würden die Galaxien
nur aus Sternen, Staub, Gasen und dem Rest der üblichen Materie bestehen,
wären sie schon längst auseinander geflogen. Das bisschen Schwerkraft
konventioneller Teilchen könnte den Fliehkräften nicht die Stirn bieten -
es muss schon eine geheimnisvolle Unbekannte mit am Strang ziehen, eben
die Dunkle Materie. So kommt es, dass Galaxien nach heutiger Vorstellung eher so eine Art Staub sind, der sich in Potenzialmulden gesammelt hat, die durch Konzentrationen Dunkler Materie entstehen. In einem gigantischen Halo, das weit größer ist als die sichtbaren Sterne, liegen die Galaxien eingebettet. Kommen sich zwei zu nahe, sodass ihre Gravitationsmulden überlappen, verschmelzen sie in einer heftigen Kollision miteinander. Es bildet sich eine elliptische Galaxie - und mit diesen haben Astronomen ein Problem. Vermisst man die Emissionslinien eines bestimmten Sauerstoffions in planetaren Nebeln, die von sterbenden sonnenähnlichen Sternen ausgestoßen werden, kann man daraus auf ihre Bewegung schließen. Eine Prozedur, die Astronomen inzwischen an zahlreichen Galaxien vorgenommen haben. Zu ihrer Verwunderung stellten sie fest, dass die Sterne im Randbereich elliptischer Galaxien sehr langsam wanderten. Zu langsam für den gravitatorischen Sog. Offenbar, so folgerten manche Wissenschaftler, gibt es dort wohl doch keine Dunkle Materie. Muss es aber, konterten andere, denn sonst passen alle anderen Beobachtungen nicht mehr. Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet nun eine Arbeitsgruppe um Avishai Dekel von der Hebrew University in Jerusalem. Die Wissenschaftler simulierten in ihrem Computer die Vorgänge beim Zusammenstoß zweier scheibenförmiger Galaxien, die zu einer elliptischen verschmelzen. Besonderen Wert legten sie dabei auf das Schicksal der Sterne in den Randbereichen und die Entwicklung ihrer Umlaufbahnen. Als Ausgangswerte nahmen sie Daten, wie sie als typisch für Scheibengalaxien gelten, inklusive der vermuteten Menge und Verteilung Dunkler Materie. Was der Computer austüftelte, ließ die Astronomen aufatmen: Es ist ganz normal, wenn manche Sterne sich langsam bewegen. Dafür gibt es gleich zwei Erklärungen. Bei einem Teil liegt es einfach an dem Blickwinkel, aus dem wir auf die Galaxie sehen. Wandert ein Stern aus unserer Sicht seitwärts, erscheint er uns schnell, bewegt er sich dagegen auf uns zu oder von uns weg, bekommen wir nur den kleinen seitlichen Teil davon mit und halten ihn für langsam. Außerdem gibt es Sterne, die tatsächlich vor sich hin kriechen. Diese sind im Laufe der Kollision auf sehr langgestreckte Bahnen gezwungen worden und ziehen gerade in radialer Richtung weg vom Zentrum der Galaxie. Dabei werden sie immer langsamer, bis sie den Umkehrpunkt ihrer Bahn erreichen und wieder beschleunigen. Das dunkle Problem mit der Dunklen Materie in elliptischen Galaxien hat sich also geklärt. Womit wir allerdings immer noch nicht wissen, worum es sich bei diesem Zeug handelt. Und das ist die eigentlich spannende Frage. Denn wer will nicht wissen, woraus das Universum und der ganze Rest überhaupt besteht? Olaf Fritsche
Freier Journalist http://wissenschaftwissen.de/
Quellen:Nature 437: 707-710 (2005)© spektrumdirekt
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