Trigemina hat geschrieben:Leider sind die deutschsprachigen Infos im www äusserst spärlich und wenig gehaltvoll gesät. In der englischsprachigen Literatur ist das Angebot weitaus dichter und der Tenor der etablierten Autoren weitestgehend untereinander konform. Hier ein repräsentativer und
prägnanter Link.
Jae Ho Hur and Sang Gyu Jo kommen zunächst zu demselben Schluss, zu dem auch eine meiner Überlegungen führt, die ich auf
Seite 10 vorgestellt hatte. Etwa einen Ring kann man problemfrei SRT-gemäß um seinen Mittelpunkt rotieren lassen, wenn man ihm an mindestens einer Stelle einen Schnitt verpasst. Dann ist Rotation, ob mit konstanter oder zeitabhängiger Winkelgeschwindigkeit kein Problem.
Nun führen die Herren Hur und Jo für den Fall konstanter Winkelgeschwindigkeit eine Metrik ein, die den Schnitt verbirgt. Offen bleiben folgende Fragen: Wo ist der Schnitt anzusetzen? Warum nicht 2 oder 4 oder egal wieviele Schnitte ansetzen? Diese Möglichkeiten sind ebenfalls gegeben und führen zu jeweils anderen Metriken. Welche Metrik ist anzusetzen? Was hat eine solche Metrik mit Einsteins SRT zu tun? Außerdem kann der Ring mit diesen Metriken immer noch nicht mit zeitvariabler Winkelgeschwindigkeit rotieren. Und wir interessieren uns (ebenso wie die Herren Professoren Max Born und Paul Ehrenfest, s.u.) für
alle überhaupt möglichen Bewegungen.
Trigemina hat geschrieben:Das ausschlaggebende Argument pro nicht-euklidischer Metrik liegt am nicht-pi-zahligen Verhältnis zwischen Umfangslinie und Radius der rotierenden Scheibe. Der Umfang einer rotierenden Scheibe im Laborsystem beträgt U = 2*r*Pi. In ihrem Ruhesystem ist er abhängig vom Abstand r und der Winkelgeschwindigkeit ω:
U’ = 2*Pi*r / sqrt(1-ω^2*r^2/c^2)
Die Verzerrung (also das vermeintliche "relativistische Pi") zwischen dem Radius r' und dem Umfang U' im Ruhesystem der rotierenden Scheibe geht aus der nicht-euklidischen Geometrie als Aneinanderreihung verschiedener Koordinatensysteme hervor.
In einer [nicht-] euklidischen Metrik ergäbe sich diese Verzerrung nicht und das Ehrenfest-Paradoxon wäre nie als solches behandelt und berühmt geworden.
Das Ehrenfest-Paradoxon
(Gleichförmige Rotation starrer Körper und Relativitätstheorie, 1909) betrifft die einsteinische SRT
(Zur Elektrodynamik bewegter Körper, 1905), in der eine flache Raumzeit fest vorgegeben ist. Dass es das Ehrenfest-Paradoxon nicht gäbe, wenn Einstein eine andere SRT formuliert hätte, bestreite ich einstweilen nicht. Es steht auch jedem jederzeit frei, eine eigene ggf. auch SRT-basierte Theorie zu formulieren, in der allerlei Metriken zum Zuge kommen.
Die Herren Ehrenfest und Born haben sich allerdings eben mit Einsteins SRT befasst und nicht mit irgendwelchen anderen unbekannten Theorien:
P. Ehrenfest hat geschrieben:Gleichförmige Rotation starrer Körper und Relativitätstheorie.
Von P. Ehrenfest.
Bei dem Versuch, die Kinematik relativ-starrer Körper von der gleichförmigen, geradlinigen Translation auf beliebige Bewegungen zu verallgemeinern, gelangt man im Anschluß an Minkowskis Ideen zu folgendem Ansatz:
Ein Körper verhält sich relativ-starr, heißt: er deformiert sich bei einer beliebigen Bewegung fortlaufend so, daß jedes seiner infinitesimalen Elemente in jedem Moment für einen ruhenden Beobachter gerade diejenige Lorentz-Kontraktion (gegenüber dem Ruhezustand) aufweist, welche der Momentan-Geschwindigkeit des Element-Mittelpunktes entspricht.
Als ich mir vor einiger Zeit die Konsequenzen dieses Ansatzes veranschaulichen wollte, stieß ich auf Folgerungen, die zu zeigen scheinen, daß obiger Ansatz schon für einige sehr einfache Bewegungstypen zu Widersprüchen führt.
Nun hat Herr Born in einer kürzlich erschienenen Arbeit[1] eine Definition der Relativ-Starrheit gegeben, die alle überhaupt möglichen Bewegungen umfaßt. Herr Born hat diese Definition – dem Grundgedanken der Relativitätstheorie entsprechend – nicht auf das Maßsystem eines ruhenden Beobachters basiert, sonder auf die (Minkowskischen) Maßbestimmungen sozusagen eines Kontinuums von infinitesimalen Beobachtern, die mit den Punkten des ungleichförmig bewegten Körpers mitwandern: jedem von ihnen soll in seinem Maß seine infinitesimale Umgebung dauernd undeformiert erscheinen.
Beide Definitionen der Relativ-Starrheit sind aber – wenn ich richtig verstanden habe – äquivalent. – Es sei deshalb gestattet, kurz auf den einfachsten Typus einer Bewegung hinzuweisen, bei dem die erstangeführte Definition schon zu Widersprüchen führt: die gleichförmige Rotation um eine feste Achse.
In der Tat: Es sei gegeben ein relativ-starrer Zylinder vom Radius R und der Höhe H. Es werde ihm allmählich eine schließlich konstant bleibende Drehbewegung um seine Achse erteilt. Sei R' der Radius, den er bei dieser Bewegung für einen ruhenden Beobachter aufweist. Dann müßte R' zwei einander widersprechende Forderungen erfüllen:
a) Die Peripherie des Zylinders muß gegenüber dem Ruhezustand eine Kontraktion zeigen:
2πR' < 2πR,
denn jedes Element der Peripherie bewegt sich in seiner eigenen Richtung mit der Momentangeschwindigkeit R'ω.
b) Betrachtet man irgendein Element eines Radius, so steht seine Momentangeschwindigkeit normal zu seiner Erstreckung; also können die Elemente eines Radius gegenüber dem Ruhezustand keinerlei Kontraktion aufweisen. Es müßte sein:
R' = R.
Bemerkung: Will man die Deformation jedes Elementes nicht nur von der Momentangeschwindigkeit des Elementmittelpunktes abhängen lassen, sondern auch noch von der momentanen Rotationsgeschwindigkeit des Elementes, so muß die Deformationsfunktion außer der Lichtgeschwindigkeit c noch eine universelle, dimensionslose Konstante enthalten oder es müssen in sie auch noch Beschleunigungen des Elementmittelpunktes eingehen.
St. Petersburg, Sept. 1909.
Das bemerkenswerte an diesem Text ist: Ehrenfest gibt selbst einen Hinweis, woran sein Argument kranken mag, weshalb es gar kein Ehrenfest-Paradoxon geben mag. Damit meine ich seine abschließende Bemerkung. Was, wenn die Deformation jedes Volumenelementes nicht nur von der Momentangeschwindigkeit des Elementmittelpunktes abhängt?
Die Software, die die Animationen erstellt, arbeitet genau so, wie Born es verlangt. Das
Kontinuum an infinitesimalen Beobachtern, die mit den Punkten des ungleichförmig bewegten Körpers mitwandern entspricht den zeitabhängigen Ruhesystemen der infinitesimalen Volumenelemente des rotierenden Körpers aus denen die Software per Lorentztransformation das Bild des rotierenden Rades ermittelt.
Ich folgere daraus, dass die Deformation jedes Volumenelementes tatsächlich
nicht nur von der Momentangeschwindigkeit des Elementmittelpunktes abhängt, wie Ehrenfest ja selbst vorschlägt. Er erwähnt als Möglichkeiten für die Abhängigkeit die Winkelgeschwindigkeit, eine universelle, dimensionslose Konstante sowie die Beschleunigungen der Elementmittelpunkte. Ich tippe auf letzteres, auf die Beschleunigungen.
Der Ansatz,
den Ernst hier vorgeschlagen hat, den ich
hier formalisiert habe und der dem Vorgehen der Software ScænaSRT entspricht, die die Animationen berechnet, wie ich
hier vorgerechnet habe, ist genau der Ansatz von Max Born.
Paul Ehrenfest wendet nun ein, dass dieser Ansatz zu Widersprüchen führen muss, es sei denn, dass die Lorentz-Deformationen nicht nur von der aktuellen Geschwindigkeit abhängen. Die Animationen zeigen zwar ein vielleicht unerwartetes Ergebnis, man mag es auch grotesk oder sonstwie nennen, nicht aber widersprüchlich. Ich folgere: Paul Ehrenfest hat recht. Die Beschleunigungen müssen sich auswirken. Das tun sie übrigens auch.
Hier der eindimensionale Fall gemäß dem o.g. Ansatz. Die Ortsvektoren x(t) lauten mit γ(t) = 1 / sqrt(1 - v²(t)/c²):
x(t) = xr/γ(t) + v(t) t
Dabei ist xr eine Koordinate der Ruhegeometrie des Volumenelements in seinem Ruhesystem und v(t) die vorgegebene Geschwindigkeit des Mittelpunktes des Volumenelementes. Die Ableitung der Ortsvektoren x(t) liefert die resultierende Geschwindigkeit x'(t) des von der vorgegebenen Ruhekoordinate xr beschriebenen Punktes des Volumenelements:
x'(t) = v(t) + v'(t) (t - xr γ(t) v(t))
Bereits im eindimensionalen Fall (dessen Darstellung ja sogar Gluon guthieß) hängt die resultierende Geschwindigkeit tatsächlich nicht nur von der vorgegebenen Geschwindigkeit v(t) sondern auch von der Beschleunigung v'(t) ab, wie Paul Ehrenfest sagt, dass es sich verhalten müsse, so dass ein Ehrenfest-Paradoxon vermieden werden kann.
Mir ist nun niemand bekannt, der nachgewiesen hätte, dass die Lorentzdeformationen von Beschleunigungen unabhängig seien. Wer meint, die SRT erweitern zu müssen, so wie Sie, Trigemina, das tun, dem empfehle ich, zunächst diesen Nachweis zu führen, um zu zeigen, dass die von Einstein, Minkowski, Born
et. al. verteidigte SRT mit ihrer flachen Raumzeit tatsächlich unzulänglich sei.
Gruß
Faber
P.S.: Solange Sie darauf bestehen, es seien obskure Metriken erforderlich, sind Sie selbst gerufen, Butter bei die Fische zu geben: Im Falle welcher Bewegungen genau sind nicht-flache Metriken erforderlich? Nachweis, warum das so sein sollte. Welche Metrik ist für den allgemeinen Fall zu verwenden?
Das bedeutete zu gut Deutsch gesagt: Nachweis, dass Einsteins SRT unzulänglich ist, weil nicht jegliche Art der Bewegung widerspruchsfrei beschrieben werden kann. Formulierung einer alternativen SRT, die dann eine vollständige Theorie der Bewegung wäre und je nach Beobachtersichtweise Einsteins SRT vernichtet, verbessert, ergänzt, ersetzt, evoluiert, ... .