Chief hat geschrieben:@Poet
also, die Wortwahl an der zitierten Stelle (Kapitel 9.) finde ich etwas zu heftig. War vielleicht nicht unbedingt notwendig...
Ob die Wortwahl 2009 im Kapitel 9 unbedingt notwendig war sei dahingestellt. Die Sprache ist ein Instrument der Kommunikation und sie ist vielfältig einsetzbar um dasselbe zu sagen und zu wiederholen, je nach Umständen, je nach Medium, je nach Zielgruppen, je nach Gemütslagen, für jeden Geschmack, je nach Zeitpunkte...
Sei 100 Jahren wurde viel im Meinungssgtreit über die RT geschrieben, in allen möglichen Stil-Formen, von verschnörkelt bis klar, von offen bis verlogen, von vornehmen bis salopp, von gemäßigt bis polemisch, von bitterernst bis satirisch, von seriös bis humorvoll, in allen möglichen Arten, von allen möglichen Persönlichkeiten. Kaum jemand wusste aber was davon... Eins kann man mit Sicherheit sagen: G.O. Mueller hat innerhalb von nur 5 Jahren mit Abstand es am besten geschafft, die Kritik der Relativitätstheorie bekannt zu machen und Interesse dafür zu wecken, mehr als irgendeiner einzelne Autor seit 100 Jahren. Ob er es für jeden Geschmack und für jede Persönlichkeit alles und immer richtig getan hat sei dahingestellt, er hat aber zumindest etwas getan. Die Leistung muß man ihm anerkennen, ist auch eine gewaltige Arbeitsleistung, die seinesgleichen sucht. Ohne G.O. Mueller würde weiterhin kaum ein Mensch etwas über die Kritik der Relativitätstheorie wissen, wie seit 100 Jahren. Und gerade das ist ein erklärtes Ziel von G.O. Mueller…
Über die wichtige Rolle von „Ruhestörern“ mit “provokant übertriebem” Verhalten bei Kulturkritik und Antasten von gesellschaftlichen Tabus hat übrigens der etablierte FAZ-Journalist Christian Geyer einiges geschrieben, von G.O. Mueller dokumentiert und kommentiert, siehe Christian Geyer kritisiert im FAZ den Mangel an Tabubrecher. Wir können liefern., wie z.B.:
Zitat G.O. Mueller :
Die FAZ vom 13.2.08 berichtet, gestützt auf Zitate von Philosophen und Soziologen, über den aktuellen Bedarf an
- “Berufskritikern”,
- “den Typus des intellektuellen Eingreifers, der etwa als Schriftsteller oder Philosoph in zentralen gesellschaftspolitischen Fragen von Zeit zu Zeit die Szene aufmischt”,
- “der eingreifende Intellektuelle”,
- diese ”verfassungsrechtlich verbürgte Rolle” darf nicht in Abrede gestellt werden;
- “betriebsferne Störenfriede” dürfen nicht als “unzuständig” erklärt werden;
- der “intellektuelle Störenfried”,
- der “Intellektuelle als Feuermelder, der es versteht, mit militant gehaltenen Diagnosen Alarm zu schlagen”;
- der “Intellektuelle muss sich aufregen können … darf sich nicht einschüchtern lassen”;
- der Intellektuelle soll in “Außenseiterstellung auf seine parteipolitische Ungebundenheit [...] achten, unbekümmert um die Erwartungen des Publikums im Modus bewußt provokanter Übertreibung sich doch bitte als Ruhestörer [...] plazieren”;
- “Haben wir die Hochzeit intellektueller Tabubrecher nicht auch deshalb hinter uns, weil es kein Tabu mehr gibt, das noch zu brechen wäre?”
Unsere Antwort auf den Tabumangel: Wir können liefern.
Unser Kommentar: Offensichtlich haben wir bisher als “Ruhestörer” nicht hinreichend “provokant übertrieben”, mit “militant gehaltenen Diagnosen” nicht genügend “Alarm geschlagen”, die “Szene nicht aufgemischt”.
Sollten die beinharten Unterdrücker und Gleichschalter der FAZ sich wirklich nach Ruhestörern und Störenfrieden sehnen, dann müßten sie entweder eine Fliege im Helm haben oder an Depressionen leiden. Beides erscheint unwahrscheinlich.
Die skurril-sentimentale Bitte um Störung ist daher eine Heuchelei und in Wahrheit das genaue Gegenteil: Eine Beschwörung und Abwehrzauber gegen die Diskussion von Tabus und gegen jegliche Ruhestörer und Störenfriede! Es gibt kein Tabu mehr, das zu brechen wäre – also braucht man auch keine Tabubrecher und Ruhestörer.
Für die großartige Steilvorlage (Christian Geyer: Ist Hecheln unsere Leitgeschwindigkeit?) und das vorzügliche Timing danken wir der FAZ-Redaktion. Die “verfassungsrechtlich verbürgten” Rollen von “Berufskritikern”, “intellektuellen Eingreifern”, “intellektuellen Störenfrieden”, “Feuermeldern”, “Ruhestörern” usw. sind und bleiben unsere Traumjobs.
In dieser Gesellschaft voller Sehnsucht nach Querdenkern und Ruhestörern, in der der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten ist und es anscheinend nur noch an Tabus mangelt, wird es von den Repräsentanten der Öffentlichkeit kommentarlos schweigend hingenommen und wahrscheinlich sogar wohlwollend akklamiert, daß in einer Teildisziplin der Naturwissenschaften die Mehrheit des Faches ihre kritische Minderheit kurzerhand hinauswirft, die Kritiker böswillig verleumdet als Dummköpfe, Quertreiber, Neider, Psychopathen, Nazis, Antisemiten und Stalinisten, ihre kritischen Veröffentlichungen unterdrückt oder, sofern doch erschienen, von der fachlichen und öffentlichen Rezeption ausschließt.
Das eigentlich öffentlich finanzierte und angeblich öffentlich betriebene Wissenschaftsfach darf zur Beute seiner Mehrheitsanführer werden, als privates Rittergut eingesackt und nach Gutsherrnart bewirtschaftet werden, ein rechtlich exterritoriales Gebiet, wo unsere Gesetze nicht gelten. Die Bürger als Kritiker werden behandelt wie Abtrünnige aus gewissen Sekten, wie rechtlose Dissidenten in den Ostblockdiktaturen der jüngsten Vergangenheit, ihrer Grundrechte auf Wissenschaftsfreiheit, Schutz vor Diskriminierung und freie Berufswahl vollständig beraubt und durch die Gleichschaltung der Gesellschaft von allen Äußerungsmöglichkeiten in der Öffentlichkeit abgeschnitten. Die Obrigkeit mit ihren Kontrollfunktionen auf allen Ebenen sanktioniert diesen Zustand, der seit Gründung der Bundesrepublik besteht. Niemand, auch die zuständigen Organe nicht, will diesen Zustand bemerkt haben, nicht einmal seit Dezember 2001.
Ein schärferer Kontrast ist kaum denkbar: Ein Wissenschaftsfach gewissermaßen wie ein Gulag mitten im Paradies. (Haben wir damit hinreichend provokant übertrieben?) Ist es eine Laune der Natur oder ein Wunder oder ein Verbrechen? Auf jeden Fall ist es eine gesellschaftliche Schizophrenie ohnegleichen, die einer Erklärung harrt.
Die Ethnologie und die Psychopathologie der Nationen oder der Gesellschaften sind hier gefragt.
Hat Deutschland nach zwei Weltkriegen und einem Völkermord vielleicht als letzten Rest seiner Ehre nur noch den Glauben an eine intakte physikalische Theorie, die nun unter gar keinen Umständen durch Zweifel oder gar Kritik befleckt werden darf? (In gewissen Ländern wird die Befleckung der Staatsehre strafrechtlich verfolgt.)
Kann es bei einer physikalischen Theorie um den Heiligen Gral der Nation gehen? Woher bezieht diese gewaltige (und gegen die Kritiker gewalttätige) Verdrängung der Wirklichkeit ihre Energien? Warum unterwerfen sich alle Leuchttürme unserer Gesellschaft, die schon viele (oder gar alle) Tabus geknackt haben wollen, widerstandslos dem Großen Tabu der Gleichschaltung, über die man, weil es ein Tabu ist, nicht einmal reden darf?
Wie kommt die große Einigkeit gegen ein paar kritische Köpfe zustande, die nur beschriebene Blätter produzieren und Dateien ins Netz stellen können? Warum müssen sie zu Unpersonen gemacht werden? Warum muß die Allgemeinheit vor ihnen geschützt und ahnungslos gehalten werden – eine Allgemeinheit, die sonst völlig seelenstark und unzimperlich über Folter und Flugzeugabschuß diskutieren kann?
In diesem Sinne darf zum Beispiel der FAZ-Journalist Christian Geyer das Kapitel 9 von G.O. Mueller als "provokant übertriebene" Tabubrecher gerne ansehen, die er ja so vermisst und für so notwendig hält…
Viele Grüße
Jocelyne Lopez